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Forschungsschwerpunkt

Theologie der Religionen

Schwerpunkt meiner theologischen Arbeit ist seit Jahren die Theologie der Religionen. Dies ist z. Zt. ein hochaktuelles und vieldiskutiertes Thema, das uns noch lange beschäftigen wird.

Worum geht es?

In der Welt gibt es viele Religionen. Das war schon immer so. Aber erst seit neuerer Zeit leben die einzelnen Religionen nicht mehr geographisch getrennt voneinander. Überall begegnen wir hautnah Menschen, die zu anderen Religionen gehören. Das kann die Gläubigen verunsichern. Wir wissen auch, daß das oft zu Spannungen führt und der Friede unter den Religionen gefährdet ist. Denn jede Religion erhebt den Anspruch wahr zu sein. Dann kann es nahe liegen, anderen Religionen die Wahrheit abzusprechen. Das führt zu Konflikten. Wie soll man sich dazu verhalten? Wie kann die Theologie Hilfestellung geben? In der Theologie der Religionen geht es nun nicht in erster Linie um die Erforschung und den Vergleich der Lehren anderer Religionen. Das tut die Religionswissenschaft. Das heißt nicht, daß die Theologie der Religionen daran kein Interesse hätte. Im Gegenteil können die Kenntnisse fremder Religionen auch der Theologie hilfreich sein. Aber die Theologie der Religionen ist in erster Linie eine Reflexionsdisziplin. Sie fragt: Was ist Religion aus christlich-theologischer Sicht? Worum geht es in den Religionen. Und schließlich:

In welchem Verhältnis steht der christliche Glaube zu den Religionen?

Und heute fragt die Theologie der Religionen vor allem: Wie kann man die Wahrheit der Religionen christlicherseits anerkennen, ohne an der eigenen Abstriche machen zu müssen? Geht das überhaupt? Dazu hat sie im Laufe der Zeit verschiedene Modelle entwickelt, die zeigen, daß das nur sehr begrenzt möglich ist:

  • Ein erstes Modell ist der Exklusivismus: Nur eine Religion kann wahr sein; alle anderen sind von der Wahrheit und vom Heil ausgeschlossen. Dieses Modell wird nur noch von sehr wenigen Theologen vertreten.
  • An seine Stelle ist der Inklusivismus gerückt. Danach kann nur eine Religion im vollen Sinne wahr sein, während die anderen an der Wahrheit dieser Religionen in unterschiedlichem Maße teil haben können und deshalb auch vom Heil nicht ausgeschlossen sind. Hier wird also den anderen Religionen bereits ein Teil der Wahrheit eingeräumt. Sie sind zumindest nicht schlechthin unwahr. Dieses Modell war bis in unsere Zeit das herrschende und wird auch offiziell von der kath. Kirche in den Dokumenten des 2. Vatikanischen Konzils vertreten. Dennoch gibt es damit eine wachsende Unzufriedenheit; denn auch dieses Modell geht davon aus, daß nur eine Religion im vollen Sinne wahr ist. Sie erhebt also einen Überlegenheitsanspruch über die anderen.
  • Einige Theologen vor allem in Nordamerika (John Hick, P. F. Knitter) haben deshalb ein drittes Modell entwickelt: den Pluralismus. Es möchte den anderen Religionen gerecht werden. Der Pluralismus vertritt die Auffassung, die großen Weltreligionen könnten alle als wahr betrachtet werden, insofern sie alle als wahre Manifestationen ein und derselben göttlichen Wirklichkeit verstanden werden können. Das aber bedeutet, daß keine Religion sich für wahrer als die anderen halten und sich über andere erheben darf. Damit scheint der Pluralismus das brauchbarste Modell zu sein, um das Verhältnis der eigenen Religion zu den anderen und auch um das Verhältnis aller Religionen zueinander zu bestimmen und damit auch dem Frieden unter ihnen zu dienen.

Auf den ersten Blick scheint der Pluralismus sehr plausibel zu sein. Aber meistens erweisen sich die plausibelsten Lösungen denn doch als die kurzschlüssigsten und problematischsten. Auch hier scheint das so zu sein. Fragt man nämlich nach der Begründung für dieses Modell, erkennt man schnell, auf welch tönernen Füßen es steht. Und fragt man nach den Konsequenzen, die für den christlichen Glauben zu ziehen wären, wollte man dieses Modell annehmen, dann zeigt sich, daß er in seiner Substanz ausgehöhlt wird. Im Pluralismus kann man nämlich die Wahrheit der anderen Religionen nur dadurch anerkennen, daß man die eigene bis zur Unkenntlichkeit relativiert. Wenn die Theologie davon ausgeht, es gebe nur diese drei Modelle und man müsse sich für eines entscheiden, dann steckt sie in der religionstheologischen Sackgasse. Man wird also beharrlich nach einem anderen Modell suchen müssen, das sowohl die ganze Wahrheit der anderen Religionen anerkennt als auch die eigene religiöse Wahrheit unangetastet läßt. Mit dem Pluralismus habe ich mich in meiner Habilitationsschrift kritisch auseinandergesetzt. Auch habe ich versucht, eine Alternative zu skizzieren und zur Diskussion zu stellen:

Gerhard Gäde, Viele Religionen - ein Wort Gottes. Einspruch gegen John Hicks pluralistische Religionstheologie, Gütersloh 1998, ISBN 3-579-00389-5.

Dieses alternative Modell nenne ich Interiorismus. Es ist inspiriert von der Theologie Peter Knauers und vermag tatsächlich die oben genannten Kriterien zu erfüllen. Vorgestellt habe ich es in meinem Buch

Christus in den Religionen. Der christliche Glaube und die Wahrheit der Religionen, Schöningh, Paderborn 2003, ISBN 3-506-70111-8; 2. Aufl. 2010, ISBN 3-506-70111-4.

Dass eine solche zur Diskussion gestellte neue Theorie nicht unwidersprochen bleibt, ist im wissenschaftlichen Diskurs selbstverständlich. Jede Theorie muss sich in der Kritik bewähren. In zahlreichen Artikeln in Fachzeitschriften habe ich deshalb auf Kritik geantwortet und unter verschiedenen Aspekten (methodologisch, epistemologisch, christologisch, ekklesiologisch etc.) versucht, dem genannten Ansatz größere Konsistenz zu geben.

Ein solcher Ansatz muss sich aber auch in der Praxis bewähren, d. h. er darf nicht nur allgemein von "den Religionen" bzw. von Christus in den Religionen sprechen. Er muss seine Anwendbarkeit auch auf konkrete Religionen unter Beweis stellen. Als Beitrag zu einem Forschungsprojekt der Facoltà Teologica di Sicilia in Palermo und angeregt durch den Mailänder Islamologen Giuseppe Rizzardi sowie den späteren Sekretär der Italienischen Bischofskonferenz, Bischof Mariano Crociata, und mit finanzieller Unterstützung durch die Italienische Bischofskonferenz konnte ich 2008 meinen Band 

"Adorano con noi il Dio unico" (Lumen gentium 16). Per una comprensione cristiana della fede islamica, Borla, Rom 2008, ISBN 978-88-263-1674-1 

veröffentlichen, in dem ich die Prinzipien des Interiorismus auf den Islam anwende und vor allem die theologischen und hermeneutischen Bedingungen aufzeige, unter denen es möglich wird, den Wort-Gottes-Charakter des Koran christlicherseits anzuerkennen. Damit wird ein neues christliches Verständnis des muslimischen Glaubens möglich. Das Buch wurde am 27. Mai 2008 von der Fakultät in Palermo in öffentlicher Buchpräsentation vorgestellt. Dabei diskutierten darüber der bekannte Islamologe Maurice Borrmans (Lyon), der Dogmatiker Paolo Gamberini (Neapel) und die Dozentin für islamische Philosophie Vittoria Alliata (Palermo). Dieses Buch ist inzwischen auch in deutscher Version auf dem Büchermarkt erhältlich:

Islam in christlicher Perspektive. Den muslimischen Glauben verstehen, Schöningh, Paderborn 2009, ISBN 978-3-506-76740-0.
Siehe dazu auch Veröffentlichungen.